Konzept

·in situ·

Dieser archäologische Begriff, der signifiziert, aber nicht signifikant ist (Roland Barthes). Der Titel der vorliegenden photographischen Arbeit soll einerseits auf das archäologische Sujet hinweisen und ebenso die Absicht der Arbeit, vor Ort die Spurensuche aufzunehmen, beinhalten.
Eine Spurensuche, die alles andere als sensationell ist, da es nicht spektakuläre Grabungsbefunde sind, sondern Landschaften, die aufgesucht werden. Behutsam jene Spuren suchen, die sich – eigentlich unvorstellbar – in einer Landschaft erhalten haben, die fast vollkommen durch einen Nutzungsbedarf (Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Zersiedelung) geprägt und bestimmt wird. Diese Spurensuche ist keine wissenschaftlich disziplinäre, vielmehr ist es eine unbestimmte Anziehungskraft, die von diesen fast vergessenen, unscheinbaren Orten ausgeht. Diese vernachlässigten, durch Menschen gestalteten Räume blieben in all den Jahrhunderten fast achtlos am Rande unserer Zivilisation; und obwohl inmitten von Natur, sind diese Räume doch noch nicht wieder ganz Natur.
Mit Einsetzen der Spatenarchäologie ging eine Liebe des gebildeten Bürgertums für Homer & Co. einher. Jene Völker, denen erst allmählich ein Stellenwert eingeräumt wird und die derzeit als esoterisch-modisch gelten können, waren lange Zeit zu wenig schön, zu wenig gut und zu wenig wahr (Winckelmann). Das wenige Überlieferte wurde mit der Brille der idealisierten klassischen Antike betrachtet und Zeugnisse des Handwerks und der Kunst erschienen zu blass, zu abstrakt. Mögliche Denk- und Glaubensschemata passen oftmals nicht in eine konstruierte abendländische Kulturwelt. Das, was da alternativ unklassisch daherkommen will, kann sich aber einer Korrelation zur jüngsten Vergangenheit nicht erwehren. So ist z.B. um das Volk der Kelten ein dichtes Netz an Mythologien gesponnen worden, die Germanen als Zeitgenossen der Kelten gelten meist als unpopulär.
Mit dem Wissen, dass der Tod Bestandteil des Lebens ist, verehren menschliche Kulturwelten jeder Couleur das Schöpferische. Und gerade dieses noch zu definierende Schöpferische ist ungewiss. Auch so sind wir heute noch auf ein Gedankengerüst angewiesen, welches durch die Hoffnung des Aufsteigens ins Jenseits das Entsetzen über die Vergänglichkeit mildern soll. Jedoch wäre es fatal, ein vorhandenes Deutungsvakuum mit Werturteilen unserer Zeit als Modell für das Empfinden des Menschen der Prähistorie einzusetzen. Wir würden unsere Ahnen in die Tradition unseres Denkens stellen. So verwehren uns beispielsweise Kultplätze, manch Menhire und all die kleinen Bodendenkmäler einen eindeutigen Zugang zu ihrem Sinn. Es ist oft nicht mehr bekannt, warum und wozu sie errichtet und gebaut wurden. Wenn wir darüber etwas äußern wollen, müssen wir interpretieren, denn das darin Lesen und Verstehen ist nicht immer möglich. Mit dem Interpretieren können nicht belegbare neue Mythen entstehen und so bleiben wir selbst als moderner Jetzt-Mensch unseren Ahnen treu: Der Mythos wird so zu einer Art des erzählenden Beikommens, da das nicht begreif- und erklärbare des menschlichen Daseins wenigstens tröstende oder schreckliche Geschichten benötigt.
Das aufkommende Christentum, zur Zeitenwende, war in seiner Verbreitungsphase in Mitteleuropa auf die uralten Kultplätze angewiesen. Diese konnten nicht exekutiert werden, denn zu tief verankert im Volksglauben waren jene Orte. Die Taktik war: assimilieren, transformieren und okkupieren. Und vielleicht plagt die christlich geprägte Kulturwelt deshalb eine Schizophrenie?
Wir deuten und erforschen unsere Welt; der noch schriftlose Mensch beobachtete die Welt. Wenn es blitzt, meinen wir zu wissen, dass durch Zusammenstoß der Wolken Blitze entstehen, während unsere arationalen Ahnen des Glaubens waren, dass Wolken zusammenstoßen, damit Blitze entstehen. So bekommen Ereignisse nicht eine Bedeutung, weil sie geschehen sind, sondern sie geschehen, weil sie eine Bedeutung tragen. Geht dieser Verlust einer zeichenhaften Beobachtungsweise einher mit einer austauschbaren zeitgenössischen Zeichen- und Symbolsprache?
Für die Priesterkaste der Kelten waren Schriftzeugnisse im religiös sakralen Bereich tabu. Das Abbilden und die Namen von Gottheiten waren nebensächlich. Du sollst dir kein Bildnis machen ... (Exodus 2.4) ist nicht nur bei den Christen bekannt. Prähistorischen Völkern wird unterstellt, dass für sie die Natur Kirche gewesen sei.
Der in diesem Zusammenhang vorstellbare kultische Brauch wird größtenteils unbekannt bleiben; wir werden uns mit dem Nicht-Darstellbaren, mit dem Inkommensurablen anfreunden müssen. Dieser Text, die Reflexion sollte Anlass sein, die wenigen Tatsachen zu akzeptieren, anstatt romantisierende Spekulationen anzustellen.

Die Arbeit ist auch im Sinne von Roland Barthes zu verstehen: Mit der Photographie auf Spurensuche einer Zeugenschaft der Zeit.