·vagari·

Kern des mehrjährigen Projektes ist das Entdecken einer Person, die in der heutigen Zeit lebt und aufgrund ihrer Andersartigkeit trotzdem nicht Teil des aktuellen Lebens ist. ·vagari· wird nicht bildlich dokumentiert, der Betrachter entdeckt ihn eher zufällig und wird sein Antlitz nicht wahrnehmen können.

·vagari· lebt im Jetzt, gehört aber nicht dazu. Er ist allein und kein Held.

Josef H. Reichholf schreibt in seinem Buch ·Warum die Menschen sesshaft wurden· Unserer Natur nach sind wir Nomaden. […] Mindestens neun Zehntel der Zeit, seit es den Menschen als biologische Art gibt, sicherten Jagen und Sammeln das Überleben. […] Doch vor etwa 10 000 Jahren ereignete sich etwas Besonderes. Im Vorderen Orient wurde der Ackerbau erfunden. […] Es ist nun der Mensch, der produziert, und nicht mehr die Natur allein. […] und mit der Zahl der Menschen steigt die Produktivität. Aus ihr geht »Besitz« hervor. Menschen und Besitz verbinden sich zur Macht.
Das Denken des Menschen veränderte sich vom Naturgegebenen zu etwas Kulturgegebenem.

  • vagari· wirkt wie ein Mensch, der seinen Besitz abgegeben, sein Auto für immer geparkt hat und sich nun wieder auf das besinnt, was für neun Zehntel der Existenz der Menschheit galt: Nomade sein.
  • vagari· zeigt sich in der zivilisierten Welt und alles, was er besitzt, sind die wenigen Dinge, die ihn umgeben, die er tragen kann. Sie sind wesentlich, weil so eindeutig und erkennbar zu ihm gehörend, dass auch ohne Anwesenheit diese Dinge alleine auf ihn verweisen. ·vagari· und seine Dinge wirken in ihrer Materialität und natürlichen Stofflichkeit konträr zu industriellen Produkten.

Unser Herz hängt an den Dingen; sie machen uns zu dem, was wir sein möchten. Dinge geben uns das Gefühl, beheimatet zu sein, unempfindlicher und beschützt vor der Umwelt. Menschliche Konsumwelten generieren kontinuierlich Wünsche nach Dingen. Wer sich Wünsche erfüllen will, muss Gewinn machen. ·vagari· scheint davon unberührt.
Die Zeit, die beharrlich ihren Lauf nimmt, lässt diese Dinge vom Dagewesensein zeugen, selbst wenn niemand mehr da sein sollte, der sie wahrnehmen könnte. So auch in Hoffnung über den Tod hinaus. Doch der Tod ist das Ende allen Begreifens und aller Illusionsproduktion.

Alles ist vom Geist ausgeformt und ·vagari· ist einer, der von sich sagt, dass er sich selbst gemacht hat.

Der Fremde, so bemerkt der Soziologe Georg Simmel, erlernt die Kunst der Anpassung auf bewusstere und meist auch schmerzhaftere Weise als Menschen, die Anspruch auf Zugehörigkeit erheben und im Frieden mit ihrer Umgebung leben können. Nach Simmels Ansicht hält der Fremde der Gesellschaft, in die er kommt, auch einen Spiegel vor, da er die Lebensweise nicht als so selbstverständlich und natürlich empfinden kann wie die Einheimischen. Die erforderlichen Veränderungen der Menschheit im Umgang mit der physischen Welt sind so gewaltig, dass nur solch ein Gefühl der Entwurzelung und Entfremdung unsere heutige Praxis zu verändern und unsere Konsumwünsche einzuschränken vermag.

Misstraut ·vagari· sich und seinem Handeln, wenn er unter Menschen weilt? Misstraut er der von Menschen gemachten Ordnung, und nur weil er nicht von diesem Planeten fliehen kann, streift er hier noch umher?